Wie Zinsen zur immer ungleicheren Verteilung der Vermögen beitragen
Wie Zinsen zur immer ungleicheren Verteilung der Vermögen beitragen
Inhalt:
- Wie wirken Zinsen und wer verdient an ihnen?
- Sind hohe Zinsen am Sparbuch ein Grund zur Freude?
- Warum wir unsere Zinsen letztendlich selbst bezahlen
- Unser Fazit
Seit dem Vorjahr ist Bewegung in unsere persönliche „Geld-Welt“ gekommen: Plötzlich erleben wir eine hohe Inflation, wie wir sie zuletzt in den 1970er Jahren hatten. Als Reaktion darauf begannen Notenbanken, wie die Europäische Zentralbank (EZB) oder die US-amerikanische FED, die Leitzinsen schrittweise zu erhöhen. Nun zahlen wir zwar hohe Zinsen für Kredite, bekommen aber weiterhin niedrige Zinsen für unsere Sparguthaben. Eine Folge dieser Entwicklung: Viele Menschen können sich schon allein durch die Verteuerung von Miete, Strom und Lebensmitteln immer weniger leisten. Einige sind zusätzlich von steigenden Kreditraten betroffen. Und jene, die über kleinere Ersparnisse verfügen, spüren, dass ihr Geld auf der Bank mit jedem Tag weniger wert wird bzw. die Kaufkraft sinkt. Zugleich berichten Medien nahezu täglich von steigenden Gewinnen der Banken und dem Ruf nach Gegenmaßnahmen. Dazu zählen unter anderem: eine Übergewinnsteuer für Finanzinstitute, soziale Sparkonten mit höheren Zinsen oder eine gesetzliche Verpflichtung für Banken, die Sparzinsen endlich anzuheben.
Doch was bewirken „zu hohe“ oder „zu niedrige“ Zinsen eigentlich? Sind hohe Zinsen am Sparbuch für die kleine Sparerin tatsächlich von Vorteil? Wie bei nahezu allen anderen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen gilt es auch hier, sich sowohl die gesellschaftlichen Auswirkungen als auch die persönlichen Vor- und Nachteile ein wenig genauer anzusehen. Zinsen werden oft als Prämie für den Verzicht von Liquidität auf Seiten des Geldverleihers bezeichnet, quasi als dessen “Leistung”. Gesellschaftlich betrachtet könnten wir sie aber auch als eine Art Grundeinkommen für Vermögende sehen.
Wie wirken Zinsen und wer verdient an ihnen?
Anstatt der Sparer*innen verdienen im Moment die Banken an den Zinsen, heißt es aktuell immer wieder.(1) Diese Feststellung ist grundsätzlich richtig. Zugleich gibt es Argumente seitens der Banken, die man nicht kategorisch von der Hand weisen kann - Stichwort: langfristiger Ausgleich von Zinsgewinn und -verlust. Und leider überdeckt die aktuelle Diskussion einen anderen, ganz zentralen Aspekt. Nämlich den, dass Zinsen vor allem maßgeblich dazu beitragen, dass bestehende Vermögen größer werden. Denn von Zinsen profitiert nur, wer bereits viel hat. Je mehr Vermögen, desto mehr Zinsen. Ein Beispiel: Markus besitzt ein Sparbuch mit 10.000 Euro und erhält dafür ein Prozent Zinsen. Nach Abzug der 25 Euro durch die Kapitalertragssteuer (KESt) hat er am Ende des Jahres dadurch 75 Euro mehr auf diesem Sparbuch. Hannah besitzt ein Vermögen von 100 Millionen Euro. Lägen diese ebenfalls auf einem Sparbuch und erhielte Hannah dafür ebenfalls ein Prozent Zinsen, wäre sie ein Jahr später bereits um 750.000 Euro reicher. Allein dieser Betrag entspricht schon mehr als dem 20-Fachen des mittleren Bruttojahreseinkommens der unselbständig Beschäftigten in Österreich (2021). Lässt Hannah diesen Zinsgewinn auf ihrem Sparbuch liegen, ist ihr Ausgangsvermögen, für das sie neuerlich Zinsen erhält, bereits deutlich höher. Dies ist die sogenannte Zinseszins-Dynamik, die große Vermögen deutlich schneller anwachsen lässt als kleinere. Tatsächlich wird Hannah als vermögende Kundin einerseits bessere Konditionen mit ihrer Bank vereinbaren können als Markus. Andererseits wird sie ihr Geld vermutlich nicht, zumindest nicht zur Gänze, auf einem Sparbuch liegen haben, sondern ihr Vermögens dort anlegen, wo es höhere Wertsteigerungen oder Renditen gibt. Z.B. in Immobilien, bei denen es im vergangenen Jahr rund 10% Wertsteigerung gab.(2) Dadurch wächst ihr Vermögen noch schneller. Einfach so. Auch keine Leistung kann sich also lohnen.
Sind hohe Zinsen am Sparbuch ein Grund zur Freude?
Bis vor kurzem betrieb die EZB noch ihre expansive Geldpolitik und erhöhte laufend die Geldmenge. Sowohl Spar- als auch Kreditzinsen waren niedrig. Damals hörten wir immer wieder, dass dadurch zwar der Aufbau von Vermögen erschwert würde, jedoch zugleich jede und jeder von günstigen Krediten profitieren könnte, etwa beim Erwerb eines Hauses oder einer Wohnung. Nun können sich in der Regel nur die wenigsten Menschen eine Immobilie kaufen.(3) Der Großteil der Menschen ärgerte sich daher ausschließlich über die niedrigen Sparzinsen und hatte das Gefühl, nicht einmal hier mehr etwas „für sein Geld“ zu bekommen.
Warum wir unsere Zinsen letztendlich selbst bezahlen
Was dabei den wenigsten bewusst ist: Hohe Sparzinsen schauen am Sparbuch oder -konto auf den ersten Blick zwar gut aus, werden jedoch laufend in Konsumgüter eingepreist und daher letztendlich von uns allen selbst, als Verbraucher*innen, bezahlt. Denn um beispielsweise zwei Prozent Sparzinsen auszuzahlen, braucht die Bank Einnahmen, etwa die Zinseinnahmen ihrer Kreditnehmer:innen. Das sind unter anderem Unternehmen. Und diese wiederum schlagen ihre Kreditkosten als Kapitalkosten auf die Preise ihrer Güter und Dienstleistungen auf.
In der Praxis ist der genaue Anteil der eingepreisten Zinslast schwer zu bestimmen. Er wird auch nirgends ausgewiesen. Um ihre Wirkung zu zeigen, setzen wir das obige Beispiel fort: Markus verdient neben seinen kleinen Ersparnissen 10.000 Euro im Jahr, die er zur Gänze wieder ausgibt. Bei einem angenommenen Zinsanteil in den Preisen nur zehn Prozent beträgt seine persönliche „Zinslast“ 1.000 Euro, und damit das Zehnfache seines „Zinsgewinns“. Bei der vermögenden Hannah ist dieser Anteil in absoluten Zahlen vermutlich höher, da sie neben ihrem hohen Vermögen auch mehr Einkommen haben und anteilsmäßig weniger ausgibt - und wiederum mehr sparen kann. Dass Haushalte mit niedrigem Einkommen einen größeren Anteil ihres Einkommens für Konsum ausgeben, ist empirisch vielfach belegt.(4) Hannahs jährlicher „Zinsertrag“ wird ihren „Zinsverlust“ durch Konsum daher deutlich übersteigen. Hannah profitiert, während Markus verliert.
Unser Fazit
Jede*r Sparer*in freut sich zwar über möglichst hohe Zinsen am Sparbuch, bezahlt sie jedoch letztendlich mit ihren tagtäglichen Einkäufen selbst. Und: Zinsen tragen langfristig wie kaum etwas anderes zur Umverteilung von unten nach oben und damit zu einer Konzentration von – leistungslosem – Vermögen bei. Einfache Antworten und Erklärungen gibt es auch hier nicht. Aber so viel kann man sicher sagen: Es sind nicht die “kleinen Sparer*innen”, die von hohen Zinsen profitieren. Auch wurde darüber nie demokratisch entschieden, schon gar nicht nachdem sich jemand bemüht hätte, das Thema “einfachen Menschen” verständlich zu erklären. Das sollte uns in der aktuellen Diskussion jedenfalls zu denken geben.
Hinweis: Auch das nächste Modul unserer Reihe akademie.kompakt wird sich dem Zinssystem widmen und ab Ende September exklusiv für Genossenschaftsmitglieder zur Verfügung stehen.
Was ist akademie.kompakt? Hier kannst du dir Modul 1 zur Frage „Was ist Geld?“ ansehen.
1 https://www.momentum-institut.at/news/profit-preis-spirale-banken oder
https://www.derstandard.at/story/3000000183296/das-steht-in-der-verbandsklage-gegen-die-bank-austria (28.8.2023)
2 https://www.oenb.at/isaweb/report.do?lang=DE&report=6.6 (28.8.2023)
3 2022 wurden zudem neue Grenzen für die Vergabe von Wohnimmobilienkrediten eingeführt: https://www.fma.gv.at/fma-erlaesst-verordnung-fuer-nachhaltige-vergabestandards-bei-der-finanzierung-von-wohnimmobilien-kim-vo/ (28.8.2023)
4 Siehe z.B.: https://www.oenb.at/dam/jcr:cf4ebb4f-7c74-4764-9e6a-7fd9bfa121a0/03_Fessler_mop_3_17.pdf (28.8.2023)